Staffellauf "Frieden geht!" gegen Rüstungsexporte
28.05.2018
ds_rk
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Der Staffellauf „Frieden geht!“ gegen Rüstungsexporte hat auch in Darmstadt Station gemacht. Das Evangelische Dekanat Darmstadt-Stadt war gemeinsam mit städtischen Friedensinitiativen als Veranstalter dabei.
Schon von Weitem machen die Trommelklänge neugierig. Vor der Kirchengemeinde Eberstadt-Süd ist ein Friedensfest im Gange, das Pfarrerin Mechthild Gunkel gemeinsam mit Aktiven aus dem Stadtteil organisiert hat. Die frühere Friedenspfarrerin der EKHN hat eine Station des bundesweiten Staffellaufs „Frieden geht!“ in Eberstadt gestaltet. Immer mehr Menschen lassen sich auf den Bänken bei Kaffee und Kuchen nieder, informieren sich über den Staffellauf oder melden sich sogar noch kurzfristig für die Geh-Etappe von Eberstadt zum Ludwigsplatz in die Innenstadt an. Der „rollende Farbraum“, ein therapeutisches Kunstprojekt für Flüchtlingskinder, das die Kirchengemeinde unterstützt, stellt seine Arbeit vor, das Kinderhaus Paradies ist engagiert. Auch die neue Freiwillige aus Nicaragua, die über den Internationalen Christlichen Friedensdienst „Eirene“ ein Jahr in der Kita der Kirchengemeinde verbringt, hilft mit. Am 2. Juni endet der Friedenslauf nach 13 Tagen, rund 1100 Kilometern und 80 Etappen in Berlin mit der Übergabe der Forderungen der 18 Trägerorganisationen an den Wirtschaftsausschuss des Bundestages.
Daniel Untch steht als Experte für Rüstungsexporte während der Wartezeit auf die Gruppe von Joggerinnen und Joggern aus Bensheim zum Gespräch bereit. Der junge Friedensarbeiter bei Pax Christi im Bistum Limburg hat seine Masterarbeit über deutsche Rüstungsexportpolitik geschrieben. Nach seiner Auskunft wollen 84 Prozent der Bevölkerung keine Rüstungsexporte. Dennoch sei das Thema zu wenig in der Öffentlichkeit präsent. Weit mehr als die Hälfte der Ausfuhrgenehmigungen des Bundessicherheitsrates bezögen sich auf Rüstungsexporte an Drittstaaten, also außerhalb von EU und Nato. Nach Daniel Untch sollten sich Interessierte mehr mit den Entscheidungsprozessen über Rüstungsexporte befassen und Zahlen und Fakten an die Öffentlichkeit bringen. Außerdem könne man sich jederzeit mit den Kandidatinnen und Kandidaten des eigenen Wahlkreises in Verbindung setzen. Dass es jetzt einen Prozess gegen den Waffenhersteller Heckler & Koch in Oberndorf gibt, wo der Friedenslauf mit Absicht begann, begrüßt Untch. Dennoch müssten auch die politischen Genehmigungsverfahren kritisch in den Blick genommen werden.
Rosemarie Rock hat von dem besonderen Lauf erst kurz vorher in der Zeitung gelesen und sich vor Ort noch angemeldet. Auch ein Veranstalter-T-Shirt hat sie noch ergattert. Die Neunundsiebzigjährige verbindet damit ihr Hobby mit ihrer Überzeugung. Schon in früheren Jahren war sie als Friedensaktivistin bei Protesten gegen die Startbahn West in Frankfurt dabei. „Jedes Wochenende habe ich dort mit meinen Kindern demonstriert“, erzählt die sportliche Seniorin. Auch an den Ostermärschen in Frankfurt habe sie von Anfang an teilgenommen, genauso wie an Protesten gegen Pershing-Raketen, das Atomkraftwerk Biblis und den Irak-Krieg. Das Laufen hat sie vor rund 15Jahren entdeckt. Ihre Lieblingsdistanz: 5000 Meter. Beim Friedenslauf in Darmstadt hat sie bei der Etappe von Eberstadt zum Ludwigsplatz die doppelte Strecke zurückgelegt. Weil ihr das Gehen zu langsam war, joggte sie immer bis zur nächsten Ampel vor, wie sie sagt, und dann wieder zurück zur Gruppe, so dass sie auf 12000 Meter kam. Johanna Hickler, Vorsitzende der Naturfreunde Darmstadt, die am Ludwigsplatz die Verpflegungsstation organisiert haben, fuhr die Etappe mit dem Fahrrad mit.
In Eberstadt wurden die Joggerinnen und Jogger aus Bensheim mit großem Jubel empfangen. Diese übergaben das Staffelholz, das die Forderungen der Initiative auf einer Papierrolle enthält, an die Gruppe von knapp 40 Geherinnen und Geher in Richtung Innenstadt. Für einen reibungslosen Ablauf sorgte das Orga-Team rund um Max Weber, das während des Laufs über 13 Tage zu jeder Station fährt. Der Student aus Berlin, selbst auch Läufer, ist überrascht von dem großen Menschenauflauf im kleinen Eberstadt. Überhaupt ist er euphorisch und spricht von einer „neuen Friedensbewegung“ durch den Staffellauf. „Die bisherigen Formen wie Demos sprechen Leute heute nicht mehr an“, so der Student der Religions- und Kulturwissenschaften. Laufen komme gesamtgesellschaftlich heute an: „Sich bewegen und damit etwas bewegen“, das motiviere Menschen. Mit der Übergabe der Forderungen der 18 beteiligten Trägerorganisationen am 2. Juni in Berlin sei die Aktion nicht zu Ende. Vielmehr sei hier ein neues Friedensnetzwerk entstanden, das auch weitere Inhalte aufnehmen könne.
Vor der Ankunft der Geherinnen und Geher auf dem Ludwigsplatz in Darmstadt ist schon eine Kundgebung im Gange. Die Organisation hat Regina Hagen vom Friedensforum federführend mit Unterstützung durch weitere Organisationen wie das Evangelische Dekanat Darmstadt-Stadt übernommen. Erste Rednerin war Dekanin Ulrike Schmidt-Hesse: „Mit Waffen auch aus unserem Land werden schwere Menschenrechtsverletzungen verübt, Millionen von Menschen in die Flucht getrieben oder getötet“, prangerte sie an und wies auch auf das Engagement der EKHN, die den Staffellauf im gesamten Kirchengebiet unterstützt, zum Thema hin. Die Synode fordere Transparenz und parlamentarische Kontrolle von Rüstungsexporten. „Wir brauchen restriktivere Gesetze“, forderte die Dekanin, die seit vielen Jahren in der Friedensarbeit aktiv ist, „gerechter Frieden braucht ein starkes Recht, soziale Sicherheit, kulturelle Vielfalt und die Sicherung der menschlichen Grundbedürfnisse - nicht Rüstungsexporte und Waffengewalt“ Sie glaube an die Vision des biblischen Propheten Micha: „Wir werden unsere Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ Dann treffen die Teilnehmenden aus Eberstadt ein und übergeben das Staffelholz an die Halbmarathon-Läuferinnen und -läufer. Pfarrer Steffen Held von der Petrusgemeinde Langen startete hier mit neun Jugendlichen über Egelsbach nach Langen.
Nicolai Koch vom Stadtschüler*innenrat Darmstadt zeigte zunächst den jahrhundertelangen Zwang von Jugendlichen zum Kriegsdienst auf und verurteilte, dass die Bundeswehr heute Werbung an Schulen mache. Oberbürgermeister Jochen Partsch prangerte die hohe Verfügbarkeit etwa von Kleinwaffen und Munition aus Deutschland in kriegerischen Konflikten weltweit an. 2017 seien die Rüstungsausgaben so hoch wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr gewesen. Dies müsse von der EU „viel schärfer diskutiert werden“. Andreas Schlossarek gestaltete die Kundgebung mit Gesang und Gitarre.
Organisatorin Regina Hagen konnte den profilierten Rüstungsgegner und Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerIinnen, Jürgen Grässlin, gewinnen. Auf seine Strafanzeige hin läuft derzeit das Hauptverfahren gegen die Rüstungsfirma Heckler & Koch aus Oberndorf, wo der Staffellauf begann, wegen illegaler Waffenexporte nach Mexiko. Als „tödlichste Stadt Europas“ bezeichnete er Oberndorf, wo seit 1811 Waffen hergestellt und exportiert würden, Heckler & Koch als „tödlichstes Unternehmen Europas“. Jürgen Grässlin ist Mitverfasser des Buches „Netzwerk des Todes“, in dem kriminelle Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden aufgedeckt werden. Der Prozess solle die Aufmerksamkeit auf den illegalen und den legalen Waffenhandel richten, dieser habe es ebenfalls verdient. Frankfurt als eine weitere hessische Station des Staffellaufs nannte er die „Hauptstadt der Rüstungs- und Kriegsbanken“. Jürgen Grässlin hat imFebruar die „Kritischen AktionärInnen Heckler & Koch“ gegründet. Zudem ist er Mitbegründer der neuen Informations- und Aktionswebsite „Global Net – Stop The Arms Trade“ gegen die Internationalisierung von Rüstungsfirmen und Träger verschiedener Friedenspreise.
Bei der Abendveranstaltung mit Jürgen Grässlin im DGB-Haus gab dieser einen detaillierten Überblick über die derzeitige Situation der Rüstungsexporte aus Deutschland in Länder weltweit. Algerien, USA, Saudi-Arabien und Ägypten belegen die ersten vier Plätze der Empfängerländer der Exporte deutscher Rüstungsunternehmen. Außerdem berichtete Grässlin über den laufenden Prozess gegen Manager von Heckler & Koch sowie über die Vorbereitung einer Anklage gegen die Firma SIG Sauer in Eckernförde.---Info „Frieden geht!“ Deutschland ist weltweit der drittgrößte Exporteur von Kleinwaffen und der viertgrößte von Großwaffensystemen. Ein Bündnis aus 18 Trägerorganisationen fordert einen Stopp deutscher Rüstungsexporte. Um ein Zeichen zu setzen, organisierten sie vom 21. Mai bis 2. Juni 2018 unter dem Titel "Frieden geht!" einen Staffellauf gegen Rüstungsexporte, der von Oberndorf am Neckar, wo sich der Kleinwaffenhersteller Heckler & Koch befindet, bis nach Berlin führte. An der Wegstrecke passierten die Läuferinnen und Läufer Rüstungsproduzenten und - exporteure, politische Entscheidungszentralen und Behörden. Der Staffellauf endete in Berlin mit der Übergabe der Forderungen an den Wirtschaftsausschuss des Bundestags. Die EKHN, Dekanate und Gemeinden im Kirchengebiet unterstützten den Friedenslauf. In Darmstadt beteiligten sich das Evangelische Deka-nat Darmstadt-Stadt, die Evangelische Kirchengemeinde Darmstadt-Eberstadt-Süd, attac Darmstadt, Darmstädter Friedensforum, Darmstädter Friedensbündnis, Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Gruppe Darmstadt, GEW Hessen, Naturfreunde Darmstadt, Naturfreunde Rüsselsheim, Wissenschaftsstadt Darmstadt und der StadtschülerInnenrat Darmstadt.Die Forderungen von „Frieden geht!“: Es wird gefordert, dass Kriegswaffen und Rüstungsgüter grundsätzlich nicht exportiert werden dürfen. Wichtige Schritte auf diesem Weg sind: - Kein Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten - Exportverbot von Kleinwaffen und Munition - Keine staatlichen Hermesbürgschaften zur Absicherung von Rüstungsexporten - Keine Lizenzvergaben zum Nachbau deutscher Kriegswaffen - Die Rüstungsindustrie muss auf eine sinnvolle, nachhaltige, zivile Fertigung umgestellt werden (Rüstungskonversion).
Weitere Informationen unter www.frieden-geht.de.
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