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Echo-Chefredakteur im Dialog mit Dekanin Ulrike Schmidt-Hesse

Tage der Erinnerung: Am 11. November jährte sich das Ende des I. Weltkrieges zum 100. Mal, am 9. November gedachte man der Pogrome am 80. Jahrestag und zugleich der Novemberrevolution von 1918 sowie des Mauerfalls von 1989. Diese Daten erwähnte Dekanin Ulrike Schmidt-Hesse zu Beginn des dritten Gottesdienstes der Reihe „Suchet der Stadt Bestes - Kirche im Dialog“.

Zu Gast war Lars Oliver Hennemann, Chefredakteur des Darmstädter Echos. Musikalisch gestalteten Kantor Christian Roß an der Orgel und Annette Graumann an der Querflöte den Gottesdienst mit Stücken französischer Komponisten mit.

Dem Dialog zugrunde lag ein Text aus dem Buch Joel im Alten Testament, ein Aufruf zur Buße: „Kehrt um zu mir von ganzem Herzen mit Fasten, mit Weinen, mit Klagen! Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider und kehrt um zu dem Herrn, eurem Gott!“ Ulrike Schmidt-Hesse berichtete eingangs von Erfahrungen, wie ihr als Kind der Erste Weltkrieg in Gestalt eines psychisch und körperlich gezeichneten Nachbarn ganz nahe kam. Später besuchte sie Orte wie Verdun.Die Dekanin ließ nicht unerwähnt, dass auch Kirchenvertreter zur Beteiligung an diesem Krieg aufgerufen hatten und Waffen gesegnet worden seien. Heute hätten die Kirchen den christlichen Auftrag zur Überwindung von Gewalt und zur Entwicklung eines gerechten Friedens neu erkannt.

Die Dekanin erwähnte ebenfalls Gedenkveranstaltungen an diesem Sonntag in Frankreich und weltweit, auch dass Kirchen verschiedener Konfessionen und andere Religionen in Deutschland und Frankreich gemeinsam dazu aufriefen, für ein „geeintes, friedliches und gerechtes Europa einzutreten, das die Würde und Rechte jedes Menschen schützt“. Sie erinnerte zudem an die Novemberpogrome in Darmstadt. Der 9. November erinnere insbesondere die Kirchen daran, dass die jahrhundertealte antijüdische Tradition in der Lehre der Kirche zum Aufkommen des modernen Antisemitismus und zu dessen Verbreitung beigetragen habe. Die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau habe darum 1991 beschlossen, den Grundartikel der Kirche zu erweitern: „Aus Blindheit und Schuld zur Umkehr gerufen, bezeugt sie (die Kirche) neu die bleibende Erwählung der Juden und Gottes Bund mit ihnen. Das Bekenntnis zu Jesus Christus schließt dieses Zeugnis ein.“ Sie bewege die Frage: Wie hätte ich mich 1938 als Nachbarin verhalten und wie verhalte ich mich heute, wenn Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer Herkunft angegriffen werden?

„Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider“ aus dem Buch Joel passten laut Ulrike Schmidt-Hesse zum Gedenken dieser Tage. Der Ausdruck „Kleider zerreißen“ stehe für eine rein äußerlich gezeigte Trauer. „Zerreißt eure Herzen“ dagegen könnte ein Erinnern bedeuten, das zu einem „menschenfreundlichen lebensdienlichen Verhalten“ bewege. Für ein solches Erinnern seien Begegnungen wichtig, das Hingehen an Orte des Geschehens, die Vermittlung von Wissen und das Benennen und Bekennen von Schuld, ebenso die Fähigkeit zur Anteilnahme am Leid anderer.  

Lars Oliver Hennemann bekannte, dass das Datum 11. November ihn stark bewege. Der Text aus dem Buch Joel erhebe einen „gewaltigen Anspruch“, doch könne man mit ihm auf tröstliche Weise klarkommen. Das Erinnern stehe im Mittelpunkt. Es sei „gut und richtig zu erinnern“ gerade in Zeiten von Geschichtsvergessenheit und Antisemitismus. Der biblische Text gehe noch tiefer, nicht das Ritual des Erinnerns sei entscheidend, sondern die Einsicht, was richtig und falsch sei. Auch Hennemann berichtete von einer Kindheitserfahrung: von seinem Großvater, der im Dritten Reich nicht mitgelaufen sei und aus seinem christlichen Glauben heraus gehandelt habe. Auch von seinen Anfragen an sich selbst während seines Grundwehrdienstes Ende der Achtziger Jahre erzählte Hennemann. Der biblische Text sei tröstlich. „Nur wer den Mut hat, sein Herz zu zerreißen, wird am Ende den Halt finden, für den Gott steht“, sagte Hennemann. Das Jahr 2018 biete da viel Anlass, mutig zu sein, nicht zuletzt weil „der eine oder andere Politiker wieder mit dem Gedanken des atomaren Feuers“ spiele oder der Hetze und Hass gegen Ausländer und Juden im eigenen Land. Trotz Nachrichtenflut sei „diese Zeit vielfach haltlos“, wenngleich es dringend Halt brauche. Ihm selbst gebe sein Glaube Halt. Darmstadt, wo er seit drei Jahren arbeite, sei eine Stadt, „die es sich nicht einfach macht“ und wo es „eine große Freiheit des Denkens“ gebe. „Die Fähigkeit des Erinnerns macht uns überhaupt erst zu Menschen“, so Hennemann“, je mehr davon, desto besser gehe es der Stadt, wie er in Bezug zu dem Thema der Gottesdienstreihe „Suchet der Stadt Bestes“ sagte.

Im anschließenden Dialog am Bistrotisch vor dem Altar sprachen Dekanin Ulrike Schmidt-Hesse und Lars Hennemann von der Bedeutung, jüngeren Menschen Zugang zu den Geschehnissen der Vergangenheit zu ermöglichen, auch um selbst aktiv zu werden. Dies sei heute insbesondere wichtig, da der jüngeren Generation immer weniger Zeitzeugen zur Verfügung stünden. Zudem gelte es in der medialen Welt, die Verlässlichkeit von Informationsquellen zu prüfen. Seiner Generation komme eine wichtige Verantwortung zu, so Hennemann: „Wir sind es, die es weitertragen müssen.“ Erinnerung müsse an Schulen und anderen Begegnungsorten stattfinden. Ulrike Schmidt-Hesse betonte, dass es auf jeden einzelnen ankomme, für die Menschenrechte einzustehen und gegen Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Militarismus aufzustehen.

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