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Bedford-Strohm in Ober-Ramstadt

'Revolution der Empathie'

Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), gestaltete gemeinsam mit dem Pfarrer und Liedermacher Clemens Bittlinger einen Abend zum Thema „Wenn dein Kind dich morgen fragt …“. In der Evangelischen Kirche in Ober-Ramstadt thematisierten die beiden in Texten und Liedern die großen aktuellen und zukünftigen Herausforderungen wie den Umgang mit Menschen auf der Flucht, die Migration sowie die Bewahrung der Schöpfung in Zeiten der Klimaerwärmung. Anette und Matthias Graumann, Finn Krug und David Kandert setzten musikalische Akzente.

OBER-RAMSTADT. Vera Langner, Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Ober-Ramstadt,  bereitete die über 300 Gäste schon in ihrer Begrüßung darauf vor, dass dies sicher „nicht nur eine  Wohlfühlveranstaltung sein wird“. Mit seinen Liedern „Sieh im Fremden das Vertraute“ und „Öffnet den Kreis“ führte Clemens Bittlinger an diesem Abend in das Thema Flucht und Migration ein.  Heinrich Bedford-Strohm betonte, dass „unser Umgang mit den Menschen, die als Geflüchtete hierher kommen“ die Menschen politisch und gesellschaftlich sehr beschäftigt habe und weiter beschäftige. „Es waren vor allem auch Menschen in den christlichen Gemeinden, die sich hier in besonderer Weise engagiert haben und insbesondere in den Tagen im September 2015, in denen viele Hundertausende hier angekommen sind, so etwas wie eine ‚Revolution der Empathie‘ in Gang gesetzt haben.“ Zwar sei inzwischen eine Ernüchterung eingetreten, aber „wir lassen uns diesen Einsatz nicht schlechtreden“.

Biblische Impulse zu Flucht und Migration

Der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern argumentierte mit den grundlegenden Impulsen der Bibel für den Umgang mit Flucht und Asyl. „Dass der Mensch geschaffen ist zum Bilde Gottes, wie es an der berühmten Stelle in Genesis 1,27f heißt, schärft die Sinne für die Missachtung dieser Grundbestimmung des Menschseins und lenkt den Blick auf diejenigen, bei denen sie besonders auf dem Spiel steht, weil sie besonders verletzlich sind.“ Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten würden zu diesen Menschen gehören wie auch diejenigen, die schon länger in einem Land leben, aber wegen Armut oder sozialer Diskriminierung von gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen seien, so Bedford-Strohm und ergänzt: „Wir sind so an die Rede von der Gottebenbildlichkeit des Menschen als grundlegendes Element unseres kulturellen Gedächtnisses gewohnt, dass wir zuweilen vergessen, wie ungeheuerlich, aber auch wie kostbar diese Behauptung ist.“ Im Christentum münde diese in der Vorstellung, dass Gott selbst in Jesus Christus Mensch geworden sei. Stärker könne man das humanitäre Erbe nicht begründen als mit der Überzeugung, dass uns in einem Menschen Gott selbst begegnet, in einem Gekreuzigten, in einem, der als politisch und religiös Verfolgter den Foltertod gestorben sei. Diese theologische Grunderkenntnis fege alle religiösen Interpretationen hinweg, die aus diesem revolutionären Weltverständnis einen von religiöser Innerlichkeit geprägten Kult machen wollten. „Es gibt auf der Grundlage dieses Glaubens keine Gottesbeziehung mehr ohne Beziehung zum Nächsten. Deswegen kann es aus meiner Sicht auch nicht die Frage sein, OB sich die Kirche, die aus dieser Tradition heraus lebt, zu öffentlichen Diskussionen äußert, in denen es um die Überwindung menschlicher Not geht, sondern nur, WIE sie sich dazu äußert.“

Mit tiefen menschlichen Erfahrungen korrespondiere das Doppelgebot der Liebe, mit dem Jesus auf die Frage nach dem höchsten Gebot im Gesetz antwortet ‘Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Das ist das höchste und größte Gebot‘. Das andere aber ist ihm gleich: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst‘ (Mt 22,35-40) ergänzt durch die Goldene Regel: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch. Das ist das Gesetz und die Propheten“ (Mt 7,12).  Seine Spitzenformulierung finde dieser unlösbare Zusammenhang im Gleichnis vom Weltgericht, in dem der Umgang mit dem Fremdling als Prüfstein für den Umgang mit Christus selbst gesehen wird: ‚Ich bin ein Fremder gewesen‘ sagt Christus ‚und ihr habt mich aufgenommen…‘ (Mt 25,35). Was in München, in Saalfeld, in Dortmund und in so vielen anderen deutschen Städten die Menschen mobilisiert habe, andere Menschen willkommen zu heißen, sei Empathie gewesen. „Ein Mitgefühl, das das Leid, das vor Terror und Gewalt fliehende Menschen erleben, zum eigenen Leid werden lässt“, so der EKD-Ratsvorsitzende.

 

Gerechtigkeit und Klimapolitik

Die Botschaft, dass Gott uns in den Schwachen begegne, setzt Clemens Bittlinger in seinem Lied „Könnte ich sein, der da leidet“ um. In „Kleider machen Leute“ prangert er  die Zustände in den Fabriken in Asien und Afrika - ‚wie einst die Slaven‘ - sowie die Haltung der Wohlstandskonsumenten an. „Die Veränderung von unerträglichen Zuständen“, mahnte Bedford-Strohm an, denn Menschen würden aus ihren Ländern auch flüchten, weil sie keine Lebensperspektiven für sich und ihre Familien mehr sehen. „Gott zu erkennen heißt, sich für Gerechtigkeit einzusetzen“. Dazu seien existenzsichernde Löhne zum Beispiel beim Nähen von Kleidung notwendig. Das neue Siegel „grüner Knopf“ bezeichnet er als Anfang, man müsse aber deutlich besser werden.

Die heutige Klimapolitik sei die Flüchtlingspolitik der Zukunft, denn 100 Millionen Menschen seien betroffen, unter anderem in Bangladesh und Papua-Neuguinea. Der CO2-Ausstoß in Deutschland liege pro Kopf pro Jahr zwischen 9 und 10 Tonnen (t), der in Tansania 0,2 t und in Burundi 0,027 t. „Diejenigen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, sind seine ersten Opfer. Das ist nicht gerecht“, betont Bedford-Strohm. Dass die Klimapolitik im Zentrum der öffentlichen Debatte stehe, dazu habe auch die 16-jährige Greta Thunberg und ihre Beharrlichkeit sowie der Medienhype um ihre Person beigetragen. „Sie hat geschafft, was wir als Kirche seit Jahrzehnten nicht geschafft haben“, so der EKD-Vorsitzende, nachdem er aus dem Schlussdokument von Seoul 1990 zitierte, in dem die Kirchen der Welt ein Signal setzten für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung. Seine Gedanken dazu drückte Clemens Bittlinger in den Liedern „Fridays for future“ und „Wenn dein Kind dich morgen fragt“ aus.

Von der Apokalypse zur Hoffnung

Dass Menschen in wenigen Jahrzehnten natürliche Ressourcen zu zerstören drohen, die in Milliarden von Jahren entstanden sind, solle zum Handeln führen. Aus christlicher Perspektive sei auch die außermenschliche Natur Schöpfung Gottes und damit „unser Mitgeschöpf“, daher fordert Bedfort-Strohm: „Wir brauchen eine ökologische Umorientierung unserer Wirtschaft und auch unseres täglichen Lebensstils. (…) Lasst uns die notwendige Veränderung so sozial gerecht gestalten, dass es nicht auf Kosten der Armen hier und anderswo auf der Welt geht.“

Der christliche Glaube sei ein Narrativ der Hoffnung. Ein Volk von der Sklaverei in Ägypten sei durch Gott in die Freiheit geführt worden. Jesus von Narareth, gefoltert, gedemütigt, stirbt am Kreuz – mehr Abgrund, mehr Verzweiflung gehe nicht – und dann die Botschaft: Christus ist auferstanden. „Wir spüren, da ist Geist und Hoffnung“, so der Landesbischof. Weil die Botschaft der Bibel die größte Hoffnungsgeschichte sei, die die Welt je gesehen hat, sei es wichtig diese Geschichte heute zu erzählen in einer Welt, deren vielleicht knappste Ressource die Hoffnung sei.

Clemens Bittlinger griff diese Themen mit einem neuen Text zum bekannten Lied „O komm du Geist der Wahrheit“ auf und beim anschließenden „Aufstehn, auf einander zu gehen“ sangen alle Kirchenbesucherinnen und – besucher  mit. Dekan Arno Allmann dankte für die klaren Worte des EKD-Ratsvorsitzenden und plädierte dafür diese Botschaft aufzunehmen, sich für Gerechtigkeit zu engagieren sowie mit Hoffnung und Zuversicht die Herausforderungen anzugehen. Im Anschluss kamen viele Gäste an diesem lauen Spätsommerabend vor dem Platz auf der Kirchenrückseite ins Gespräch über verschiedene Aspekte der Rede- und Liedbeiträge. Bedford-Strohm diskutierte intensiv mit den Frauen und Männern, darunter auch Studierende der Theologie.  

 

 

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